Es gibt Bücher, die muss man ich vielleicht mehrmals lesen, um sie richtig wertzuschätzen. Das Buch „Durchkreuzt – mein Leben mit der Diagnose Krebs“ von Andreas R. Batlogg gehört für mich dazu. Ich habe es zufällig beim Stöbern in einer Wiener Buchhandlung gefunden, der Einband und der Titel haben neugierig gemacht.
Ich habe es dann relativ zügig durchgelesen – vielleicht ZU zügig, und es ist nur wenig hängengeblieben. Vor kurzem habe ich es zufällig (vielleicht sensibilisiert durch Erfahrungen im privaten Bereich – gibt es Zufälle?) wieder in meinem Bücherregal entdeckt und gelesen – und diesmal wirklich gelesen.
Worum es geht:
Andreas Batlogg, ein Priester, Jesuit und Journalist, erhält 2017 die Diagnose Krebs. In seinem Buch beschreibt er seinen Weg, seine Erfahrungen, seine Empfindungen von der Diagnose bis zur (zumindest weitgehenden) Heilung. Er schrieb das Buch während seiner Behandlung, auch als Form der Therapie.
Was mich berührt hat:
Das Buch ist keine blosse Aufzählung von Behandlungen. Der Autor öffnet sich sehr weit, als Leser wird man unmittelbarer Zeuge seiner Ängste, Hoffnungen, aber auch Zweifel. Der Schock zu Beginn, als klar wird, dass sich das Leben dramatisch ändern wird. All das, was er in dieser Zeit tun wollte – durchkreuzt!
Sagen Sie alle Termine ab!
Chefarzt (Seite 14)
Wen lässt man teilhaben? Wem öffnet man sich? Und dann ruft er den befreundeten Onkologen Fuat Oduncu an und hört die wunderbaren Worte:
Ich bin für Dich da! Du kannst Dich auf mich verlassen!
Prof Dr Fuat Oduncu, zitiert von Andreas Batlogg, Seite 18
Er setzt sich in dieser Zeit auch mit seinem Glauben auseinander. „Wir fallen niemals tiefer als in Gottes Hand“ heisst es – was bedeutet das? Glaube ich daran? Gilt das auch für mich? Vertraue ich darauf?. Diese Fragen beschäftigen ihn – wahrscheinlich genauso wie jeden anderen.
„Wir fallen niemals tiefer als in Gottes Hand.“
Andreas Batlogg, Seite 58, Kapitel „Glaube auf dem Prüfstand
Hilft mir dieses Bild, wenn ich im Bett in Richtung Operationssaal geschoben werde?
Was mich sehr berührt hat, war die Beschreibung der steigenden Dankbarkeit für die kleinen Dinge, die wir oft als selbstverständlich oder gar nicht wahrnehmen – eine Verbindung zu vielen Dingen, die man in Seite von Corona – Lockdowns vermisst. Man sieht anders, man hört anders zu.
Durchschlafen können und am Morgen ausgeruht sein, ist keine Selbstverständlichkeit mehr.
Andreas Batlogg, Seite 68, Kapitel „Auf Weihnachten zu“
Der Autor lässt den Leser auch daran teilhaben, dass er auch manchmal weinen musste; etwas, was mancherorts noch immer als „unmännlich“ betrachtet wird. Im entsprechenden Kapitel geht es darum, zu lernen, seine Krankheit anzunehmen – vielleicht eines der schwierigsten Dinge.
„Körperliche Verletzlichkeit einzugestehen, wird von vielen immer noch als Schwäche gesehen – und nicht als mentale Stärke“.
Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland Pfalz, zitiert auf Seite 120 von „Durchkreuzt“ von Andreas Batlogg.
Sehr berührend empfand ich auch das Kapitel „Das Leben wieder leise lernen“, benannt nach einem Wort der jüdischen Schriftstellerin Nelly Sachs. Zurückzufinden in das Leben, den Alltag.
„Wenn Du die Chemotherapie überstanden hast, wirst Du Dich wie neugeboren fühlen. Dann wirst Du ganz anders leben.“
Prof Dr med Dr phil Fuat S. Oduncu, behandelnder Onkologe, zitiert von Andreas Batlogg, Seite 164
Gegen Ende des Buches geht es auch um die Sorge, die Erkenntnisse und Einsichten, die man in der Zeit der Behandlung erfahren hat, in den Alltag zu integrieren.
Gut gemeinte Vorsätze pflastern unseren Lebensweg, sie werden in Krisen oder Krankheiten gefasst, an Wendepunkten des Lebens – und gehen oft viel zu schnell wieder unter.
Andreas Batlogg, Seite 185
Was ich mitnehme:
Neben vielen nachdenklichen Momenten nehme ich für mich persönlich mit, wie wichtig und wertvoll es ist, dankbar sein zu dürfen – auch und gerade für die sogenannten kleinen Dinge des Lebens, die dann doch so groß werden können. Wie wichtig Zuversicht ist. Und auch Dinge abseits von Medikamenten und Chemotherapie, wie Umarmungen und Freundschaft, wichtig sind. Und dass man zu seiner Schwäche stehen darf. Uns schlussendlich – dass Krebs kein Todesurteil mehr sein muss.
Einiges von diesen Gedanken findet sich auch in den Artikeln, die unter „Links zum Thema“ ganz unten angeführt sind.
Schliessen möchte ich mit einem mutmachenden Zitat aus dem Vorwort des Buches:
Und Die Diagnose hat vieles durchkreuzt. Aber auch Neues ermöglicht.
Andreas Batlogg, Vorwort, Seite 9
Durchkreuzt – Mein Leben mit der Diagnose Krebs. Von Andreas R. Batlogg
Tyrolia Verlag, 192 Seiten
ISBN Nr 978-3-7022-3745-5
Nachtrag:
Ich habe etwas mit mir gerungen, ob ich etwas zu diesem Buch schreiben soll. Steht es mir als (derzeit) Nicht-Betroffenem zu, etwas über die Gedanken und Gefühle von jemandem zu sagen, der eine Krebs-Diagnose erhalten hat? Ich habe mich schliesslich doch dafür entschieden, weil ich glaube, dass dieses Buch Betroffenen, aber auch Angehörigen Mut machen kann. Und – ich sehe es an mir selbst – auch wenn man momentan nicht direkt betroffen ist, gibt es vieles, das man für sich mitnehmen kann.
Links zum Thema:
- Wikipedia Eintrag von Andreas R. Batlogg SJ
- Homepage von Andreas R. Batlogg SJ
- Facebook Seite von Andreas R. Batlogg SJ
- Artikel auf Jesuiten.at „Jedes Gebet ein Schrei. Wie ein Jesuit mit seiner Krebserkrankung umgeht.“
- Artikel der Süddeutschen Zeitung vom vom 2.3.2019 „Ich bin jetzt sparsamer mit frommen Worten“